Rechtsextreme Strategien und innere Sicherheit in Deutschland

Thomasius Research Institute on Political Extremism

Sie nennen sich „Reconquista Germanica“, „Nordkreuz“ oder „Identitäre Bewegung“. Innenministerin Nancy Faeser hat den Jahresbericht des Verfassungsschutzes in Berlin vorgestellt und gewarnt: „Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist derzeit die größte sicherheitspolitische Herausforderung in Deutschland.“ Körperverletzungen, Propagandadelikte oder versuchte Tötungsdelikte: Die statistischen Erhebungen in der politisch motivierten Kriminalität offerieren ein massives Problem von rechts. Insgesamt ist die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Der Rechtsextremismus ist auf gesellschaftlicher, subkultureller, parteipolitischer und terroristischer Ebene in Deutschland auf dem Vormarsch. Die neuen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes kommen nicht überraschend, sondern sind das Ergebnis einer jahrelangen gesellschaftspolitischen Entwicklung – eine Entwicklung, die im Allgemeinen Politik und Gesellschaft und im Besonderen die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen stellen. Anhaltspunkte, dass sich in der Polizei selbst Sympathisanten rechter Gruppierungen aufhalten, machen diese Herausforderung besonders brisant. 

Seit der hohen Migrationsbewegung im Jahr 2015 ist das politische Klima in der Bundesepublik rauer geworden. Die Anfangs ausschließlich euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) hat sich inhaltlich, personell und strategisch komplett neu aufgestellt und aus der Stimmung und undifferenzierten Debatte Kapital geschlagen. Bestimmte Vereinigungen, die der Partei nahestehen und „der Flügel“ werden vom Verfassungsschutz nach Prüfung eindeutig als rechtsextremistisch eingestuft. Dass eine Partei mit solchen Verbindungen in allen deutschen Landtagen und im Bundestag mit über 12 % vertreten ist, spricht dafür, dass die Gesellschaft nach rechts gerückt ist.

Das Phänomen des Rechtsextremismus schlägt durch die zunehmende Gewaltbereitschaft innerhalb der Szene und durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf die soziodemografische Zusammensetzung der Szene immer wieder hohe Wellen in Politik und Öffentlichkeit. Wird der Blick nüchtern auf den aktuellen Verfassungsschutzbericht geworfen, zeigt sich zum einen, dass die Sicherheitsbehörden ein konstant hohes Niveau bei rechtsextremistischen Straftaten feststellen. Gleichzeitig entstehen auch neue, subversive und personell sehr starke Strömungen innerhalb des Rechtsextremismus, wie die Reichsbürgerszene oder die sogenannte „Neue Rechte“. Die Ideologie der „Neuen Rechten“ ist die alte – nur neu verpackt und anschlussfähiger und damit gesellschaftspolitisch gefährlicher denn je. Die rechtsextremistische Entwicklung charakterisiert sich vor allem durch die neue Strategie, die neuen Agitationsfelder und die allgemeinen populistischen Vorgehensweisen. Ein Schulterschluss des parteipolitischen Rechtsextremismus mit dem gesellschaftlichen, subkulturellen bis zum terroristischen Rechtsextremismus ist dabei besonders brisant. Vergleichbar mit der früheren Strategie der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) in Ostdeutschland mit dem Image einer seriöse „Kümmerer-Partei“ auf Wählerfang zu gehen und nur im Geheimen die Verbindung zu rechten Kameradschaften zu pflegen, gehen die neuen Rechten heute gemeinsam mit Parteipolitikern und Gewaltbereiten auf die Straße, um vor einer angeblichen „Überfremdung“ oder der vermeintlich bevorstehenden „Umvolkung“ zu warnen. Klare Abgrenzungen zwischen gemäßigten und radikalen Szenen sind nicht mehr in jedem Fall möglich und durchlässiger als noch vor der „Neuen Rechten“. Mit diesen durchlässigen Grauzonen ist eine trennscharfe Kategorisierung der rechten

Gruppierungen auch aus sicherheitspolitsicher Sicht nicht praxistauglich. Die Strategie der Rechtsextremisten ist mittlerweile viel komplexer. Auf der einen Seite formieren sich neue gewaltbereite rechtsextreme Gruppierungen auf politischen Veranstaltungen, Rechtsrockkonzerten oder Kampfsportveranstaltungen, während auf der anderen Seite gesellschaftlich akzeptierte Themen „gekapert“ und ideologisch aufgeladen werden, um letztendlich ein antidemokratisches Weltbild zu propagieren. Standen in den Anfängen noch der sogenannte „Ethnopluralismus“ und die Narrative von einer angeblichen staatlich gelenkten Umvolkung ganz oben auf der Agenda, werden von den „Neuen Rechten“ auch Themen wie die „Klimalüge“ oder die Impfpflicht besetzt und bewusst ideologisch aufgeladen. Die Grenzen zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus sollen verschwimmen. Es werden zwar auch offen rassistische Positionen vertreten, gleichzeitig wird aber auch mit einer neuen Kommunikationsstrategie gearbeitet. Mit einer Form der „Selbstverharmlosung“ werden bewusst gesellschaftspolitische Tabus gebrochen, im Anschluss relativiert, um so das Sagbare immer weiter nach rechts zu verschieben. Rechtsextremistische Positionen sollen so salonfähig gemacht werden. Neben einem offensiven Geschichtsrevisionismus verpacken rechtsextremistische Gruppierungen ihre Narrativen in medial aufwändig produzierte Videos und eine moderne Sprache, sodass ein großes Personenpotenzial auch abseits der Rechten angesprochen werden kann. Die öffentlichkeitswirksame Aktionsorientierung, wie die Besetzung des Brandenburger Tors oder Flashmobs in den deutschen Innenstädten sind dabei beliebte Formen, um neue Mitglieder anzuwerben. Mit einer „Ideologisierung durch die Hintertür“ soll eine breite Masse durch Stör- und Transparentaktionen erreicht werden. Die Identitäre Bewegung beispielsweise äußert zwar in sozialen Medien und auf aktionsorientierten Veranstaltungen ihren rassistischen Ethnopluralismus, die Kommunikationsstrategie zielt aber auch darauf ab, die öffentliche Meinung gegenüber rechtsextremistischen Positionen zu beeinflussen. U.a. werden öffentliche Tabus bewusst durchbrochen und so unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit das Sagbare immer weiter ausgedehnt – bis hin zur Volksverhetzung.  Vernetzt sind die Identitären dabei in subkulturellen und parteipolitischen rechtsextremistischen Strukturen. So, dass es für einen Außenstehenden erstmal nicht klar erkennbar ist, ob es sich um eine politische Gruppierung innerhalb des demokratischen Spektrums handelt. Auch die soziodemografische Zusammensetzung ist in dieser Szene eher untypisch. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes handelt es sich dabei eher um einen losen Verbund aus versprengten Rechtsextremisten.

Durch die subversive Strategie schaffen es die neuen Rechtsextremisten ein erhebliches Mobilisierungspotenzial abzuschöpfen. Durch die strategische „Verharmlosung“ der eigenen Position und den „Rechtsextremismus durch die Hintertür“ schaffen sie es gesellschaftliche Schichten anzusprechen und zu überzeugen, die vor offensiv agierenden Rechtsextremisten zurückschrecken würden. Erst peu a peu werden dann rechtsideologische Positionen übernommen, die durch fehlende Korrektive im sozialen Umfeld immer radikaler werden können. Der „Rechtsextremismus durch die Hintertür“ birgt damit auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen Gefahren für das friedliche Zusammenleben. Die Identitäre Bewegung schafft es mit der Vernetzung zum Institut für Staatspolitik, dem neurechten Magazin Sezession und dem Verlag Antais sowohl Intellektuelle anzusprechen als auch mit den öffentlichkeitswirksamen Aktionen und der Social-Media-Strategie junge und bildungsferne Schichten zu mobilisieren.

Sicherheitsbehörden stehen vor neuen Herausforderungen

Den Sicherheitsbehörden kommen im Kampf gegen den Rechtsextremismus mehrere Rollen zu. Primäre Aufgabe ist die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung in den Bereichen der politisch motivierten Kriminalität. Im Kampf gegen den Extremismus sind sie aber auch ein wichtiger Akteur in der Extremismusprävention. Durch Aufklärung, Vorbeugung und Verhütung von politisch motivierter Kriminalität leisten sie einen erheblichen Beitrag in der Prävention gegen Extremismus. Durch die Identifizierung und Beobachtung extremistischer Bestrebungen können sicherheitspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Darüber hinaus können durch die statistische Erfassung der politisch motivierten Straftaten Lagebilder, Hot-Spots und besondere regionale Bedarfe ausgemacht werden. Neben der kriminalpolizeilichen Arbeit, die nach Möglichkeit staatsgefährdende Straftaten verhindern soll, kommt auch dem Verfassungsschutz als Sicherheitsbehörde eine wichtige Rolle in der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu. Ähnlich wie der polizeiliche Staatsschutz sammelt der Verfassungsschutz im Vorfeld Informationen von Bestrebungen oder Tätigkeiten, die gegen die FDGO oder die Sicherheit des Landes gerichtet sind und wertet sie aus. Eine Kooperation der beiden Sicherheitsbehörden im Rahmen des Trennungsgebotes ist dabei ebenso wichtig, wie die weitere Vernetzung zu zivilen Akteuren, wie Weiterbildungsmaßnahmen für Polizisten, Lehrer oder Sozialarbeiter.

Die extremistischen Bestrebungen mit der subversiven Kommunikationsstrategie, dem Geschichtsrevisionismus und der bewusst angestrebten „Verschiebung des Sagbaren“ bei den Identitären und der „Neuen Rechten“ stellt die Sicherheitsbehörden dabei vor neue Herausforderungen, Verbindungen zwischen Extremkonservatismus und politischen Extremismus sind schwierig aufzuarbeiten und zu kategorisieren. Handelt es sich noch um eine Person im konservativ-rechten Lager oder schon um einen Extremisten, der sich in kurzer Zeit radikalisiert und eine Straftat begeht? Diese Kategorisierung, ob Gefährder und wenn ja welcher Kategorie oder doch gewaltablehnender Nationalkonservativer wird auch durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die „Neue Rechte“ immer anspruchsvoller. Zudem schafft es die „Neue Rechte“ Menschen zu mobilisieren, die sich selbst nicht als rechtsextrem beschreiben würden, dabei aber schon längst rechtsextremistische Positionen übernommen haben. Auch dieses, sich in Zukunft noch deutlicher steigernde Personenpotenzial, kann die rechtsextremistische Szene unübersichtlicher machen. Ähnlich wie bei der Gefahrenbewertung im islamistischen Bereich verschwimmen die Grenzen zwischen radikal und extremistisch immer mehr. Das wird sich auch auf die Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden im Bereich der Analyse und Bewertung in der Prävention widerspiegeln. Es werden erheblich mehr Arbeitsressourcen aufgrund des angestiegenen Personenpotenzials in der Recherche, der Analyse und der operativen Kräfte anfallen.

In der Gefahrenabwehr muss sich das Personal der Sicherheitsbehörden weiter mit diesem Phänomen auseinandersetzen und Fachexpertisen aneignen, um die Entwicklung der Szene nachvollziehen und vor allem die Gefahrenlage bewerten zu können. Das sicherheitsbehördliche Personal muss in der Analysefähigkeit und den Entstehungsdynamiken politischen Extremismus fortgebildet werden, lernen die sicherheitspolitische Brille auf das Phänomen verlassen zu können und einer interdisziplinären Perspektive gegenüber offenstehen.  Dazu ist eine Öffnung seitens der Sicherheitsbehörden zur Wissenschaft notwendig. Entscheidend für eine effektive Prävention ist es, die Erkenntnisse mit Wissenschaftlern, Praktikern und Politikern zu teilen, um einen gesamtheitlichen Präventionsansatz entwickeln zu können. Interventionsmaßnahmen von Sicherheitsbehörden sind dabei nur ein Teil einer effektiver Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus. Wesentlich für die Verhinderung politisch motivierter Gewalt, die den Sicherheitsbehörden als Ergebnis eines langen sozialen Prozesses auf die Füße fällt, ist eine Präventionsarbeit, die durch Sensibilisierungsmaßnahmen, Beratungsarbeit, politische Bildungsarbeit und Erforschung des politischen Extremismus das Problem Rechtsextremismus an der Wurzel packt.  

(Michael Bücker, wissenschaftlicher Mitarbeiter)